Freitag, 6. Dezember 2013

Warum ich den Internationalen Strafgerichtshof für einen Fehler halte

Nachdem in Deutschland Politik derzeit ja quasi nicht stattfindet (und diesen jämmerlichen Witz eines "Hauptausschusses" werde ich sicher nicht mit einem Blogbeitrag würdigen), ist hier ja irgendwie thematisch Ebbe. Da hat sich ein Artikel auf dem Verfassungsblog angeboten, der eigentlich ein Interview mit Christoph Flügge, dem deutschen Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY).
Christoph Flügge hält sowohl den ICTY als auch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH oder ICC) für "ein[en] riesige[n] rechtspolitische[n] und völkerstrafrechtliche[n] Fortschritt".

Dass beide Gerichte völkerstrafrechtliche Fortschritte darstellen, dürfte unbestreitbar sein - denn vor diesen Gerichten gab es ja außer den Gerichten der Nürnberger und der Tokioter Prozesse nicht all zu viel.
Ob das aber auch rechtspolitisch ein Fortschritt ist, möchte ich dann schon in Frage stellen. Dem ICTY kann ich dabei zumindest eine gewisse Sinnhaftigkeit nicht absprechen, auch wenn bei Ad-hoc-Tribunalen irgendwie immer ein gewisser schaler Beigeschmack bleibt. Diese Sinnhaftigkeit kann ich aber beim ICC nicht erkennen, denn den halte ich weltpolitisch für eine Katastrophe.

Warum? Das fühlte ich mich bemüht, in einem (hier leicht überarbeiteten) Kommentar zu dem genannten Interview darzustellen:

Die Frage ist für mich, ob beim IStGH die Vorteile die Nachteile (weltpolitisch) wirklich aufwiegen:
Früher konnte man schwankende Diktaturen u.a. auch dadurch beenden, dass man den Diktator mit einer netten Abfindung und seinem veruntreuten Vermögen irgendwo in ein sicheres Drittland ausgeflogen hat und er vorzugsweise in der Schweiz oder an der französischen Riviera seinen – meist nicht ganz freiwilligen – Ruhestand verbringen konnte (die afrikanische Geschichte hat da ja einige Beispiele).
Das mag zwar aus Gründen der Gerechtigkeit nicht die schönste Lösung gewesen sein, aber politisch/diplomatisch sehr pragmatisch und opportun, denn es hat das getan, worum es in der internationalen Politik eigentlich immer geht: Probleme zu lösen.

Mit der Internationalen Strafjustiz geht das so allerdings nicht mehr – denn welcher Diktator würde sich noch “ausfliegen lassen”, wenn ihm dort die Aussicht auf ein Gerichtsverfahren vor dem IStGH mit Haftstrafe, Konfiskation seines Vermögens, etc. etc.. droht? Statt dessen krallt man sich an der Macht so lange fest, wie es irgendwie geht, in der Hoffnung, die Sache aussitzen zu können – und das schadet in mehrfacher Hinsicht:
Zum einen lassen sich Diktaturen nicht mehr so “problemlos” beenden wie früher, wenn es mal eng wird. Zum anderen führt es wohl dazu, dass schwankende Regimes die Repression erhöhen, um die Macht zu wahren, und am Ende im Regelfall nur noch durch Bürgerkrieg und blutige Revolten gestürzt werden können, die im besten Falle nur das Land, im schlimmsten Falle eine ganze Region destabilisieren.
Bestes Beispiel ist in meinen Augen der Sudan: Hier möchte ich stark bezweifeln, ob man sich mit dem Internationalen Haftbefehl gegen al-Baschir wirklich einen Gefallen getan hat. Denn warum sollte der Mann mit dieser Aussicht irgendwas anderes tun, als um jeden Preis zu versuchen, an der Macht zu bleiben?
Anderes Beispiel, wenn auch wackliger: Syrien. Ob es die Lage dort wirklich verbessern würde, würde es nicht die “Drohung” der Internationalen Strafjustiz geben, wenn Assad ausreisen würde, kann man wohl nicht ohne Weiteres beurteilen. Assad wirkt ja nicht unbedingt geneigt, seine Position zu verlassen. Und auch wenn man hier unterschiedliche Ansichten haben dürfte, je nach dem ob man pro oder contra IStGH ist - ich halte den Gedanken nicht für abwegig, das Assad einer Ausreise zur Beginn des Konflikts eventuell zugeneigter gewesen wäre, wenn er die Aussicht auf eine geräumige Villa am Stadtrand von Moskau oder an der französischen Riviera geblüht hätte, und nicht eventuell doch irgendwann eine Verfahren vor dem IStGH, verbunden mit der Aussicht auf eine - wohl wenig angenehme - Zelle in der United Nations Detention Unit drohen könnte.

Fazit:
Ja, Gerechtigkeit ist ein hohes Gut - allerdings sehe ich das auf transnationaler Ebene eher problematisch, weil das eigentlich ein sehr politischer Raum ist, in dem in der Diplomatie viel mit schmutzigen Deals gearbeitet wurde – die führten am Ende vielleicht nicht zu allgemeiner Zufriedenheit, waren aber nicht selten einigermaßen effektiv.
Und diesen Weg hat man sich durch den IStGH, der aus moralischer und rechtlicher Perspektive sicher der saubere und richtigere Weg ist, abgeschnitten – ob das im Ergebnis ein Gewinn für die betroffenen Nationen, Regionen und Völker ist, halte ich zumindest für sehr fragwürdig.

Oder, etwas überspitzt formuliert: Ich halte es für wichtiger, Diktatoren und Autokraten aus dem Amt zu bekommen, als sie für ihre Taten einzusperren. Und weil der ICC die Entsorgung von Despoten verhindert, halte ich ihn für einen Fehler. Denn am Ende sind in meinen Augen Freiheit und Frieden wichtiger als Gerichte und Strafen - was Südafrika mit der Wahrheits- und Versöhnungskomission ganz gut gezeigt hat.

Sonntag, 29. September 2013

Stimme, System und Sperrklausel

Das die Wahlen Anlass zum Bloggen bieten, habe ich erwartet. Dass sie gleich so ausgehen, wie sie ausgegangen sind, war dann doch etwas überraschen. Aber Themen gibt es trotzdem, z.B. die 5%-Hürde, auch "Sperrklausel" genannt. Denn nach den Ergebnissen der Bundestagswahl von letztem Sonntag hat die 5%-Hürde ein gewisses Problem bekommen. Ob es ein verfassungsrechtliches Problem ist, darüber lässt sich trefflich streiten - aber ein Imageproblem hat die Sperrklausel in gewissen Kreisen jetzt in jedem Falle.

Der von mir begeistert gelesene Verfassungsblog hat schnell reagiert, das Thema aufgegriffen und bereits mehrere sehr lesenswerte Beiträge pro und contra Sperrklausel veröffentlicht. Zu einem der Artikel (natürlich gegen die Quote) habe ich vore einigen Tagen einen Kommentar geschrieben, der sich im Laufe des Schreibens soweit ausgewachsen hat, dass ich ihn gleich noch - etwas ausgebaut - zu einem Blogpost mache.

Stimmen ohne Wert...

Das Bundestagswahlergebnis ist im Hinblick auf die Sperrklausel deswegen problematisch, weil von den abgegebenen, gültigen Stimmen lediglich 84,2% der Stimmen Eingang in die Sitzverteilung des Bundestags Nr. 18 gefunden haben.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Insgesamt 15,8% der abgegebenen, gültigen Stimmen wurden durch die 5%-Hürde "genullt". Sie waren, wie man umgangssprachlich sagt, "für die Tonne".

Wo genau ist aber dabei das Problem?

...bei der Mehrheitswahl...

Ein gerne gebrachtes Argument für die Sperrklausel ist, dass es im Mehrheitswahlrecht ja durchaus vorkommen könnte, dass dort viele, oftmal die Mehrheit der Stimmen keine Wirkung haben - bei relativer Mehrheitswahl wie im Vereinigten Königreich sogar weit über 50%, wenn es schlecht läuft. Warum also ist es so schlimm, wenn bei uns im Verhältniswahlrecht 15% der Stimmen keine Wirkung haben?
Im Vereinigten Königreich, den USA oder Frankreich spielen doch noch viel mehr Stimmen keine Rolle? Dieser Verweis auf die Mehrheitswahl ist prinzipiell schon richtig, hilft bei der Debatte um eine Sperrklausel aber nicht wirklich weiter, denn man kann die beiden Systeme nicht einfach so vergleichen.

Es ist natürlich richtig, dass bei einem Parlament, dass nach Mehrheitswahl bestimmt wird, theoretisch bei absoluter Verhältniswahl 49% der Stimmen, bei relativer Verhältniswahl sogar noch viel mehr Stimmen unberücksichtigt bleiben können.
Aber: Wie viele Stimmen geanu unberücksichtigt bleiben, spielt für die Mehrheitwahl keine Rolle. Ob es 1%, 10%, 25%, 49% oder gar ist, ist schlicht egal, denn das Verhältnis der Stimmen hat ja keinen Einfluss auf das Wahlergebnis - und das wird einem auch vorher gesagt.

Bei der Mehrheitwahlrecht wird nämlich nicht die Behauptung aufgestellt, dass jede Stimme zählt und sich in der Sitzverteilung wiederspiegeln, sondern nur, dass die Stimmen der Mehrheit des Wahlkreises zählen. Bei den Ergebnissen der Unterhauswahl 2010 im Vereinigten Königreich lässt sich schön erkennen: Das Stimmverhältnis hat mit der Sitzverteilung einfach nichts zu tun - muss es aber auch nicht. Das ist dem Wähler aber auch vorher klar und er weiß, wenn er seine Stimme nicht für einen der  - meistens zwei - "Big Player" abgibt, ist sie verschwendet (weswegen ein Mehrheitswahlrecht fast zwangsläufig zur Konzentration auf zwei große Parteien führt).


... und der Verhältniswahl

Das Verhältniswahlrecht (ob personalisiert oder nicht ist hierbei egal, das ist ja mehr ein nettes "Zusatzfeature", das am Prinzip nichts ändert) proklamiert aber ja vom Grundsatz her eben (im genauen Gegensatz zum Mehrheitswahlrecht), dass jede Stimme gleich viel Gewicht bei der Ergebnisermittlung hat, und zwar nicht nur vom Zählwert [= jeder hat genau eine Stimme, keiner zwei, keine wird mehrfach gezählt], sondern auch und vor allem vom Ergebniswert her [= jede Stimme hat genau den selben Effekt bei der Ergebnisermittlung].

Der Wähler kann also mit dem Anspruch an eine Wahl gehen, dass er die seiner Meinung nach "beste Partei" wählt und sich seine Stimme auf die Stimmverteilung im Parlament auswirkt. Im theoretischen Optimum nimmt also jede abgegebene Stimme an der Sitzverteilung teil. In der Realität lässt sich das natürlich nicht machen, aber so lange diese Prämisse für den weit überwiegenden Großteil der Stimmen gilt, ist eine Sperrklausel ein guter Kompromiss, um eben den Wildwuchs zumindest ein bisschen klein zu halten und wirkliche "Splitter" rauszuhalten.

Wenn aber nun die Sperrklausel dazu führt, dass ein relevanter Teil der abgegebenen Stimmen nicht mehr an der Ergebnisermittlung teilnimmt, kommt man zu einem systemischen Problem. Im Verhältniswahlrecht ist ja eben gerade nicht vorgesehen, dass eine Stimme im Erfolgswert "genullt" wird - denn das verzerrt ja das Ergebnis und läuft der Intention, den Wählerwillen konkret abzubilden, konträr entgegen. Und je mehr Stimmen keine Berücksichtung bei der Sitzverteilung finden, desto stärker wird statt dem Wählerwillen ein systemwiedriges Ergebnis abgebildet.

Das Problem erkennt man bei der aktuellen Wahl sehr gut: Dass es im neu gewählten Bundestag eine (theoretische) "linke Mehrheit" gibt, entspricht nicht wirklich dem Wählerwillen. Denn wenn man die Sperrklausel auf 3, 2 oder 1% senken würde und also die Anzahl der genullten Stimmen drastisch reduziert, sähe das Bild mit FDP und AfD (und möglicherweise den Piraten) plötzlich ganz anders aus. Und genau daran wird die Problematik sehr deutlich: Wenn das Wahlsystem nicht mehr hält, was es verspricht, nämlich den Wählerwillen möglichst genau abzubilden - und zwar den Willen aller Wähler, nicht nur der "relevanten" Wähler -, wenn also Stimmenverhältnis und Sitzverhältnis zu sehr divergieren und dabei Phantasiezusammensetzungen des Bundestags herauskommen, dann bekommt das System ein massives Problem.

Um mal mit einer Binsenweisheit abzuschließen: Wahlen dienen ja gerade dazu, den Willen der Wähler darzustellen, und Wahlsystem sollten Hilfsmittel dafür sein. Wenn eine Wahl den Wählerwillen nicht mehr ordentlich abbildet, dann braucht man sie eigentlich auch nicht - eine fatale Folge für eine Demokratie.

Politische Legitimationsprobleme

Daraus resultiert noch ein ganz anderes Problem: Jede durch die Sperrklausel genullte Stimme stellt ein massives Repräsentanzproblem dar.

Dass ein Sitzmehrheit im Parlament nicht (mehr) zwangsläufig eine Mehrheit aller Bürger repräsentiert, daran haben wir uns angesichts einer Wahlbeteiligung von irgendwas um die 70% gewöhnt, und man kann Kritik in diesem Punkt ja auch mit dem Argument "Dann hätten sie halt zur Wahl gehen müssen" entgegnen.
"Qui tacet consentire sidetur", könnte man sagen, würde man Latein sprechen, also "wer schweigt, scheint zuzustimmen" oder einfach ganz platt: Wem's nicht passt, der hätte ja wen anders wählen können.

Aber: Wenn eine Sitzmehrheit im Parlament nun auch nicht mal mehr eine Mehrheit der Wähler darstellt, wird es auch für die Politik in Sachen rechtfertigung schwierig. Denn ein Wähler, dessen Stimme abgegeben wurde, aber bei der Ergebnisermittlung unberücksichtigt bleibt, wird einfach nicht politisch vertreten. (Ja, ich weiß, Art. 38 Abs. 1 GG sagt, die Abgeordneten seien "Vertreter des ganzen Volkes" - die Realität sieht aber einfach anders aus.)
Niemand kann bei einem FDP-, AfD- oder Piraten-Wähler nach dieser Wahl behaupten, dass er von einer Partei im Parlament "mitvertreten" wird. Denn er wollte offensichtlich von jemand anderem vertreten werden.
Die Folge: Knapp 15% der Wähler, was ungefähr 10% der wahlberechtigten Bevölkerung entspricht, bleiben unvertreten. Was bedeutet, dass einer von zehn Bürgern in den nächsten vier Jahren ohne jede politische Repräsentanz auf Bundesebene bleiben wird.

Für eine repräsentative Demokratie ist das eine ziemlich problematische Ansage. Sowohl was die Vertretung der Wähler als auch was die Legitimation der Gewählten angeht.


Weg mit der 5%-Hürde?

Was sollten nun die Konsequenzen sein? 5%-Hürde abschaffen? Reicht also ein außergewöhnliches Wahlergebnis, um gleich mal wieder das Wahlsystem verändern zu müssen? Führt die Wirkung der 5% zu ihrer eigenen Verfassungswidrigkeit? Das sind natürlich berechtigte Fragen - auf die man allerdings entgegnen kann, dass nochmal vier Jahre solche Verzerrungen in Kauf zunehmen, nur um zu schauen, ob es nicht vielleicht doch wieder "besser" wird, ja auch keine Lösung sein kann.
Ich finde, man kann dieses Thema zumindest nicht einfach zu den Akten legen. Ich würde fast drauf wetten, dass wir vor den nächsten Wahlen nochmal ne Meinung von den Richtern in den roten Roben aus Karlsruhe dazu hören werden - ich möchte aber nicht raten, was diese Meinung sein wird.

Auf Karlsruhe muss, darf und sollte die Politik aber hier nicht warten, sondern selbst aktiv werden. Und ob das nun bedeutet, die Sperrklausel pauschal auf 3% zu senken, oder aber eine Art Flexi-Sperrquote nach dem System "Wenn bei 5% weniger als X% der Wählerstimmen im Parlament repräsentiert sind, dann sinkt die Quote auf 4% (3 oder was auch immer)" wird, das muss eben diskutiert werden.
Gezwungenermaßen von einem etwas eingeschränkt repräsentativen Bundestag Nr. 18.


Edit (30.09.): Ich hatte in diesem Posting mehrfach den Bundestag Nr. 17 erwähnt. Gemeint war jedoch der neu gewählte, 18. Bundestag, weswegen ich das nach einem Hinweis korrigiert habe. Mea culpa.

Montag, 9. September 2013

Mein Problem mit Olympischen Spielen in 2022 München

Das IOC hat am Samstag Tokio den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2020 erteilt. Man könnte auch sagen: Tokio ist damit das offizielle IOC-Wirtstier für die Sommerspiele 2020.
Mit einer gewissen Schadenfreude habe ich dabei die Kandidatenstädte, aus denen die ehrenwerten Herren des IOC auswählen konnten, gehört: Madrid (Euro- und Staatsschuldenkrise), Istanbul (Polizeibrutalität, Erdogan und Syrien liegt auch um die Ecke) und Tokio (Fukushima). Mal schauen, was aus der Entscheidung wird, aber so gesehen hätte ich mich bei dieser Auswahl wahrscheinlich auch für Tokio entschieden.
Auch für die Winterspiele 2022 würde ich mich für Tokio entscheiden. Oder für Lhasa (Tibet). Auch für Singapur. Eigentlich ist mir egal, welche Stadt es wird - so lange es nicht München ist.

Die Winterspiele 2022 - hoffentlich nicht in München?


Allerdings bereitet mir die nächste Wirtstierstatus-Vergabe, nämlich die für die Winterspiele 2022, größeres Bauchgrummeln. Denn bei dem Gedanken, München könnte die Olympischen Spiele 2022 ausrichten, wird mir fast schon schlecht. Und das Problem ist: Man plant ja schon wieder.
Es gibt ja kaum eine "politische" Position (ist das Politik? Wahrscheinlich...) - abgesehen vielleicht von meinem Positionswechsel in Richtung pro-Frauenquote - bei der ich meine Meinung so komplett umgedreht habe wie bei der Frage einer Bewerbung Münchens für die Olympischen Spiele: War ich noch ein Befürworter der (glücklicherweise gescheiterten) Bewerbung für das Jahr 2018,  bin ich nun strikt dagegen. Es zwar so sehr dagegen wie gegen Netzsperren. Oder die staatlich erhobene Kirchensteuer. Es geht also um eine fundamentale Frage.

Was hat sich nun genau so massiv geändert? Eine berechtigte Frage. Es liegt sicher nicht daran, dass ich die Olympischen Spiele für eine ablehnenswerte Veranstaltung halte. Ganz im Gegenteil, ich finde, die Olympischen Spiele sind – wie alle Internationalen Sportveranstaltungen – eine großartige und grundsätzlich begrüßenswerte Sache, von der ich glaube, dass man sehr viel Gutes mit erreichen kann. Wenn man denn will.
Und da liegt der Hase im Pfeffer, denn mein Problem mit den Olympischen Spielen sind nicht die Olympischen Spiele selbst - sondern es ist deren "Zuhälter", das Internationale Olympische Komitee. Meine Position zum IOC habe ich vor einigen Wochen (müsste während der Leichtathletik-WM in Moskau gewesen sein) mal in einem Tweet hinreichend deutlich gemacht:




Was ich gegen das IOC habe? Zumindest nichts wirksames. (Leider)


Das IOC ist wohl eine der einflussreichsten NGOs der Welt, wenn nicht sogar die einflussreichste NGO der Welt. Man bedenke: Rein rechtlich gesehen ist das IOC nichts anderes als ein Verein schweizer Rechts, der die Rechte an den Olympischen Symbolen und den Olympischen Spielen - also eine NGO. Und ich bin mir sicher, das IOC könnte sehr viel Gutes tun. Das Problem: Das tun sie nicht. Das IOC wirtschaftet ausschließlich in die eigene Tasche, und das ohne Rücksicht auf die politischen Umstände im Gastgeberland oder die finanziellen Gegebenheiten der jeweiligen Wirtsstadt:

Sport ist unpolitisch! Haha, von wegen.


Das IOC versucht immer unter der Behauptung, der "Sport darf nicht politisch instrumentalisiert werden", jegliche Politik raus zu halten. Ich finde es natürlich auch richtig, wenn man verhindern möchte, dass die Spiele so für eine Ideologie instrumentalisiert werden wie von Hitler 1936. Aber: Man kann etwas nicht als "unpolitisch" definieren und dann seine Macht verwenden, um jegliches politische Statement zu verbieten. Olympische Spiele sind schon aufgrund ihrer Bedeutung politisch. Und wenn man sie in Staaten mit eher zweifelhaftem Verhältnis zu Menschenrechten vergibt, wie China oder Russland, dann ist das ein politisches Statement - weil das Verbot jeglicher Äußerung dazu zwingt, lächelnd mitzuspielen, das System stützt.
Mal davon abgesehen halte ich es für ein Unding, dass eine Organisation ihre Macht verwendet, eines der fundamentalsten Grundrechte seiner Teilnehmer, nämlich deren Meinungsfreiheit, quasi komplett einzuschränken. Damit stellt sich das IOC auf eine Stufe mit Nordkorea, China, Russland oder eines der anderen sympathischen Regime, in denen man die freie Meinung nicht so sonderlich schätzt. Das ist im besten Falle ein Armutszeugnis. Im schlimmsten Falle ist es nicht mehr druckfähig.

Das IOC und seine Wirtsstädte.


Außerdem glaube ich dem IOC leider nicht mehr, dass es ihnen um die Olympische Idee geht - denn es wirkt eher so, als ginge es ums Geld. Ausschließlich. Das IOC greift den Großteil der Einnahmen ab, während die Kosten das jeweilige Land selbst tragen muss (daher meine Bezeichnung als "Wirtsstadt") - die Olympischen Spiele sind ein Verlustgeschäft, das ist ein offenes Geheimnis. Ein um so größeres Geheimnis sind dagegen die Verträge, die die Wirtsstädte mit dem IOC abschließen müssen. Und sie sind wohl aus guten Gründen geheim, ein rechtliches Gutachten, dass in München meines Wissens dazu mal erstellt wurde, besagt aber: Sie wären wohl rechts- und sittenwidrig. Wie alle juristischen Wertungen kann man darüber sicher streiten, aber das liest sich schon sehr eindeutig.
Eigentlich ist mir das aber auch völlig egal: Ich möchte weder, dass München einen Vertrag abschließt, der auch nur im Ruf steht, sittenwidrig zu sein, noch möchte ich, dass ein Vertrag mit einer Organisation geschlossen wird, die sich selbst solche Vorteile einräumt. Bei einem Blick in das Gutachten oder die Zusammenfassung wird einem ganz anders. Ich hätte gerne, dass die Bundesrepublik Deutschland, der Freistaat Bayern und die Landeshauptstadt München sich auch bei den Olympischen Spielen benehmen, als wären sie der Staat - und nicht die servilen Diener einer zwielichtigen Organisation aus dem Ausland.

München soll kein Wirtstier werden


Bis sich beim IOC also wieder grundlegend was ändert, möchte ich die Olympischen Spiele nicht in München haben. Oder irgendwo in Deutschland. Deswegen, inzwischen aus tiefster Überzeugung: Nolympia.

Samstag, 20. Juli 2013

PRISM, US-Geheimdienste und die deutschen Grundrechte

„Mit PRISM missachten die USA die Grundrechte der Deutschen, ergo sind sie böse und undemokratisch!“ Mit diesem Satz lässt sich der Kerngedanke kurz zusammenfassen, der die Medien und die Öffentlichkeit in diesem Lande seit den Veröffentlichungen von Edward Snowden mal wieder zu neuen Höchstformen der bundesdeutschen Empörungskultur auflaufen lässt.
Je mehr ich von dieser Berichterstattung und öffentlichen Empörung mitbekomme, desto fassungsloser und kopfschüttelnder stehe ich daneben und versuche zu begreifen, was da gerade eigentlich passiert.

Die Grundrechte der Deutschen sind in den USA egal


Der Punkt, an dem mein Verständnis schon aussetzt, ist die Verknüpfung von meinen Grundrechten mit den USA. Der Gedanke, dass ein US-Geheimdienst meine Grundrechte wahren oder schützen sollte, ist ungefähr so absurd wie der Gedanke, dass der IRS (das ist die US-Bundes-Steuerbehörde) meine Steuererklärung bearbeitet oder mir eine Steuerrückerstattung gewährt.

Ich bin ein Nicht-Amerikaner außerhalb von Amerika, der amerikanische Staat ist damit in keinster Weise für mich, mein Wohlergehen oder – womit wir beim Punkt wären – den Schutz meiner Grundrechte zuständig, denn die US-Verfassung gilt (grob gesagt) eben nur, wenn ich Amerikaner wäre oder mich in den USA aufhalten würde.
Dass die USA trotzdem keineswegs ein Unrechtsstaat sind, auch wenn das in dem deutschen Erregungs-Antiamerikanismus ja gerne mal proklamiert wird, zeigt ja auch der Umgang mit den eigenen Bürgern: Dass die NSA auch US-Bürger abhört, hat ja im Kongress ja bereits für Verstimmungen gesorgt.

Und genau hier liegt das Problem: Das US-System ist, viel stärker noch als das Deutsche, nach innen gerichtet. Was also außerhalb der US-Grenzen (so z.B. auch in Guantanamo) passiert, interessiert für die Anwendung der US-Verfassung nur sehr bedingt. Das mag für deutsche Bürger, die wohl seit dem 2. Weltkrieg ein etwas anderes, weniger inlandsbezogenes Verständnis von Staat und ein sehr umfassendes Verständnis von Grundrechten eingeimpft bekommen habe, etwas schwer verständlich sein, das ist aber völkerrechtlich und verfassungstheoretisch unangreifbar: Meine Grundrechte müssen nicht von den USA geschützt werden, denn ich habe selbst einen Staat, der dafür zu sorgen hat und meine Grundrechte (zumindest in der Theorie) schützt. Oder zumindest schützen sollte.

Dass also die USA beschließen, möglichst viel vom Rest der Welt abzuhören, um sich und ihre Bürger zu schützen, ist in meinen Augen völlig legitim und kaum angreifbar. Denn wenn der BND den Rest der Welt abhört, um mich zu schützen, finde ich das auch eher unproblematisch (sieht man von den Zweifeln ab, ob der BND sowas vernünftig auf die Reihe bringt oder einfach Steuergelder verbrennt).

Das eigentliche Problem


Wer das jetzt so verstanden hat, dass ich es in Ordnung finde, dass die USA meine Daten sammeln, liegt aber falsch: Es geht mir nicht darum, dass man sich beschwert, es geht mir um den Adressaten dieser Beschwerde. Denn wie ich oben schon erwähnt habe, habe ich ja eigentlich auch einen Staat, zu dem ich mehr oder weniger freiwillig gehöre. Und die Bundesrepublik Deutschland hat meine im Grundgesetz verbrieften Grundrechte zu schützen. Mein Staat hat mich nicht anlasslos abzuhören und zu überwachen, sondern er hat meine Rechte zu schützen. Auch und vor allem gegen die Übergriffigkeit fremder Staaten, die meine Rechte nicht zu interessieren braucht, weil ich bei ihnen nicht Bürger bin.

Hier geht es um die Grundfunktionen eines Staates. Wir reden hier nicht über Luxustätigkeiten eines Staats wie die Förderung von Kinderkrippen und auch nicht über allgemein akzeptierte Tätigkeiten für die Wohlfahrt der Bürger wie den Betrieb eines Sozialsystems. Hier geht es ans Fundament der staatlichen Aufgaben: Wenn mein Staat nicht mal in der Lage ist, mich zu schützen, wozu brauche (und finanziere) ich ihn denn dann eigentlich?

Denn darin, dass unsere Regierung scheinbar nicht mal interessiert ist, die Daten ihrer Bürger zu schützen – darin liegt für mich der eigentliche Punkt, an dem ich mich stoße. Und zwar ganz massiv. Und ich frage mich ernsthaft, warum die gegen die angeblichen US-Missetaten so aufgebrachte deutsche Bevölkerung noch nicht mit Fackeln und Mistgabeln nach Berlin gezogen ist, um unserer Regierung mal etwas Dampf zu machen.

Was machen wir hier eigentlich?


Was passiert stattdessen? Unser „trauriger Clown von einem Verfassungsminister“ Friedrich reist nach Washington und hat dort nichts Besseres zu tun, als PRISM zu loben, weil es angebliche Terroranschläge abgewendet hat (welche genau, ist natürlich geheim). Womit er mal wieder eindrucksvoll beweist, wie geeignet er für dieses Amt ist (nämlich gar nicht).
Und unsere Regierungschefin weiß derweilen (wie üblich) von nichts und macht auch nicht den Eindruck, als würde sie sich daran sonderlich stören. Oder an diesem Zustand etwas ändern wollen.

Und was machen die deutschen Wähler? Sie finden die halbherzigen Aufklärungsankündigungen, die ungefähr so überzeugend sind wie die Ankündigungen einer pubertierenden 13-Jährigen, später noch das Zimmer aufzuräumen, wohl schon irgendwie ganz in Ordnung. Und verhelfen dem Parteienbündnis, das uns mit (nicht nur, aber auch) diesen beiden Leuchten in der Regierung zwangsbeglückt hat, zu über 40% in den aktuellen Umfragen.

So wichtig scheint der Schutz unserer Grundrechte ja dann doch nicht zu sein. Zumindest nicht so sehr, dass man der eigenen Regierung mal Druck macht, damit sie was an diesem Zustand ändert. Denn unsere arme und ach so bemühte Regierung ist ja realpolitischen Zwängen unterworfen, und das könnte ja unangenehm werden, wenn man versucht, daran was zu ändern.
Und Grundrechtsschutz ist natürlich schon total wichtig, aber wenn es unangenehm wird, dann sollen doch lieber die USA was ändern und ihre Bürger weniger schützen wollen. Denn immerhin kann man sich über die ja aufregen.
Und sicher sein, dass sich nichts ändern wird.

Oh Gott, er bloggt!

„Oh Gott, er bloggt!“ - Ich kann mir einige Menschen bildlich vorstellen, die bei der Aussicht auf ein Blog von mir mit eben diesem Gedanken vor dem Bildschirm sitzen. Das mag schon sein, hilft aber nichts. (Als Lösungsvorschlag: Es muss ja niemand lesen, was ich schreibe.)

Ich hab ja schon einige Male mit dem Bloggen angefangen, was aber nie wirklich zu irgendwas geführt hat. Inzwischen ist aber meine Frustration über die „politischen“ Verhältnisse in diesem Land so gewachsen, dass ich meine Meinung irgendwo kund tun muss, um sie nicht immer anderen Menschen in irgendwelchen Diskussionen unterjubeln zu müssen, die sich eigentlich gar nicht über das Thema der Meinung drehen. Deswegen lautet die Lösung: Bloggen.

Ich beabsichtige, hier meine Meinung zu allem kund zu tun, was mir gerade in den Sinn kommt respektive auf die Nerven geht. Das ist erfahrungsgemäß mehr, als ich jemals in ein Blog gepresst bekäme, vorzugsweise dürften die Themen deswegen – hoffentlich – politischer oder juristischer Natur sein. Den meisten, die mich kennen, sollte bekannt sein, dass ich Jurist bin, weswegen da eine gewisse Affinität zum Thema da ist - und wenn man bei Jura ist, ist man an der Politik ja sehr nahe dran, zumindest in der Theorie. Schließlich müssen wir Juristen ja den Unsinn, den sich die Politik einfallen lässt, irgendwie wieder ausbaden, und sind dann im Zweifel auch noch schuld dran.

Was meine politische Einstellung angeht, so halten mich ja unglücklicherweise die meisten Menschen, die darüber etwas Genaueres wissen, für einen Liberalen. Das ist sehr bedauerlich und natürlich auch völlig falsch, ich zähle mich nämlich in den – in Deutschland leider viel zu kleinen und unbekannten – Kreis der Libertären. (Feel free to ask for details)
Wer also bei der Meinung Hautausschlag bekommt, dass der Staat in den meisten Fällen viel eher das Problem denn dessen Lösung ist, der sollte sich eventuell anderswo Lesestoff suchen. (Oder sich ein Mittel gegen Hautausschlag beschaffen.)

Natürlich habe auch ich (nicht immer) die ultimative Weisheit, aber wer diskutieren will, darf gerne auf die (selbstverständlich moderierte) Kommentarfunktion zurück greifen - oder mich einfach mal so ansprechen/anschreiben/whatever – für Diskussionen bin ich (fast) immer zu haben.

In diesem Sinne: Viel Spaß.