Donnerstag, 5. März 2015

Zündeln am Rechtsstaat

Ich habe gerade festgestellt, es durch das Jahr 2014 ohne einen Blogbeitrag geschafft zu haben. Ob das nun für oder gegen 2014 spricht, weiß ich auch nicht. Fakt ist aber: 2015 schafft das nicht. Denn der Fall Edathy - oder viel mehr dessen mediale Nachwirkungen - bringen mich dann doch wieder genug in  Rage, um einen Blog-Beitrag zu verfassen. BGH-Richter Thomas Fischer und Jakob Augstein haben sich schon treffender in Kolumnen zu dem Verhältnis zwischen Rechtsstaat und Rechtsempfinden geäußert, als ich das hier könnte, deswegen soll das hier auch gar nicht Thema sein - mir geht es eher darum, was nach dieser Verfahrenseinstellung so in die Welt geblasen wurde. Und vor allem: Wo.

Dass zum Beispiel Til Schweiger eine Meinung zu dieser Sache hat, das konnten wir alle im Stern lesen - zumindest, wenn man die aufkommende Übelkeit bei seinen (sachlich an vielen Punkten mehr oder weniger offensichtlich falschen) Ausführungen lange genug unterdrücken konnte, um bis zum Ende zu kommen. Ich möchte gar nicht erst anfangen, all das richtig zu stellen, was Schweiger da so sagt, denn die Zeit ist anderweitig sicher sinnvoller aufgehoben.
Mein erster Gedanke, als ich an dieses Blogposting ging, war: "Ich lasse mir doch nicht von Schweiger den Rechtsstaat kaputt reden." Doch bei weiterem Nachdenken kam ich zum eigentlichen Punkt: Darum geht es mir gar nicht. Meinungsfreiheit ist eine gute und richtige Sache, und Til Schweigers Meinung mag ich für völlig falsch und gefährlichen Unsinn halten, aber auch gefährlicher Unsinn ist eine Meinung, die man haben darf. Was mich eigentlich stört ist, dass mir Til Schweigers Meinung so prominent medial ins Gesicht geblasen wurde.

Lehnen wir uns mal kurz zurück und betrachten die Situation objektiv: Warum schreibt eigentlich Til Schweiger eine Kolumne zum Edathy-Verfahren auf Stern.de?
An Til Schweigers juristischen Qualifikationen kann es kaum liegen, dazu hat Augstein schon alles gesagt. Seine einzige Verbindung (ich möchte es nicht Qualifikation nennen) ist offensichtlich, dass er sich gegen Kinderpornographie einsetzt (was ich für sehr unterstützenswert halte). Und dann ist dann noch der Punkt, dass er prominent ist. Wo "Til Schweiger" drüber steht, da lesen die Menschen wahrscheinlich mehr drin, als wenn es da Experte schreiben würde, der hoffentlich mehr Ahnung von der Bekämpfung der Kinderpornographie oder den juristischen Vorgängen hätte und das von der einen oder der anderen Sichtweise fachlich beleuchten würde. Das dürfte man sich auch in der Stern-Redaktion gedacht haben, als man sich die Frage stellte, wen man denn zu diesem Thema eine Kolumne schreiben lassen könnte.
Dass die Wahl auf Til Schweiger fiel, zeigt dann aber sehr eindeutig das Ende des Gedankengangs: Es geht dem Stern wohl weniger um einen ernstzunehmenden Meinungsbeitrag in dieser Sache, sondern darum, mittels der öffentlichen Empörung Quote zu machen und die Leserzahlen auf Stern.de mit dem Zugpferd Til Schweiger hochzutreiben.

Jetzt kann ich durchaus verstehen, dass Quote wichtig für die Medien ist, und es ist ja auch durchaus legitim, sie machen zu wollen, immerhin stehen auch hinter Zeitschriften wirtschaftliche Interessen. Aber - nennt mich einen verrückten Spinner - ich bin dann doch auch noch der Meinung, dass den Medien, die nicht umsonst "4. Gewalt" genannt werden (was ja eine gewisse Bedeutung im Staatsgefüge signalisiert), eine gewisse Verantwortung zukommt, und dass sie das bitte auch berücksichtigen sollten, in dem, was sie so tun. In "Meinungsmacht" steckt nicht umsonst das Wort "Macht" drin, und das impliziert in meinen Augen in einem modernen Staat eben auch Verantwortung.
In diesem Falle wäre das: Eine gewisse Verantwortung für den Rechtsstaat. Der Rechtsstaat ist, das merkt man in solchen Fällen, eine schwierige Sache. Für jemanden, der kein Jurist ist (und manchmel selbst für den Juristen), kommt er immer wieder zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen, die man für merkwürdig, falsch oder empörend halten kann und darf. Perfekt ist er sicher nicht, aber so grundsätzlich ist dann doch allgemeiner Konsens, dass es ganz gut ist, wenn man einen Rechtsstaat hat. Was auch der letzte Empörte erkennen sollte, wenn man nach China oder Saudi-Arabien schaut, wo dem eben nicht so ist. Der Rechtsstaat bleibt aber nicht von alleine ein Rechtsstaat, denn er will gehegt, gepflegt und manchmal auch verteidigt werden - gerade in einer Zeit, wo allgemeine Überwachung und Kontrollwahn sich zunehmend verbreiten. Manchmal gehört da auch dazu, Verständnis für Dinge zu schaffen, für die man auf den ersten Blick so gar kein Verständnis haben möchte.

Man kann die Gesetzeslage verändert sehen wollen, und man kann der Meinung sein, dass dieses Verfahren so nicht hätte enden sollen. Eine Diskussion darüber gehört in einem solchen Fall dazu, aber Beiträge wie der von Til Schweiger im Stern sind für eine solche Diskussion kontraproduktiv. Mit einer gehörigen Portion Populismus, mehr als nur bedenklichem Halbwissen in Sach- und Rechtslage, aber einem um so größeren Appell an das gesunde Volksempfinden auf eine gerichtliche Entscheidung loszugehen, das mag für Til Schweiger von der Meinungsfreiheit gedeckt zu sein. Aber eine Meinung kann man auch für sich behalten, oder auf seine Facebook-Seite stellen. Aber einer solchen Meinung aus monetären Interessen ohne Rücksicht auf die Verluste eine prominente Bühne zu bieten, halte ich von einer Zeitung wie den Stern für hochgradig unverantwortlich.
Das erbost mich deshalb so, weil es nichts mehr mit einer Diskussion zur Sache zu tun hat, in der Meinungsvielfalt gut und wichtig wäre. Das hier ist von Seiten des Sterns schlicht und einfach, und um der Quote wollen, Populismus.

Oder kurz: Das ist Zündeln am Rechtsstaat. Und ich lasse mir auch nicht vom Stern meinen Rechtsstaat kaputt reden.