Freitag, 6. Dezember 2013

Warum ich den Internationalen Strafgerichtshof für einen Fehler halte

Nachdem in Deutschland Politik derzeit ja quasi nicht stattfindet (und diesen jämmerlichen Witz eines "Hauptausschusses" werde ich sicher nicht mit einem Blogbeitrag würdigen), ist hier ja irgendwie thematisch Ebbe. Da hat sich ein Artikel auf dem Verfassungsblog angeboten, der eigentlich ein Interview mit Christoph Flügge, dem deutschen Richter am Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY).
Christoph Flügge hält sowohl den ICTY als auch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH oder ICC) für "ein[en] riesige[n] rechtspolitische[n] und völkerstrafrechtliche[n] Fortschritt".

Dass beide Gerichte völkerstrafrechtliche Fortschritte darstellen, dürfte unbestreitbar sein - denn vor diesen Gerichten gab es ja außer den Gerichten der Nürnberger und der Tokioter Prozesse nicht all zu viel.
Ob das aber auch rechtspolitisch ein Fortschritt ist, möchte ich dann schon in Frage stellen. Dem ICTY kann ich dabei zumindest eine gewisse Sinnhaftigkeit nicht absprechen, auch wenn bei Ad-hoc-Tribunalen irgendwie immer ein gewisser schaler Beigeschmack bleibt. Diese Sinnhaftigkeit kann ich aber beim ICC nicht erkennen, denn den halte ich weltpolitisch für eine Katastrophe.

Warum? Das fühlte ich mich bemüht, in einem (hier leicht überarbeiteten) Kommentar zu dem genannten Interview darzustellen:

Die Frage ist für mich, ob beim IStGH die Vorteile die Nachteile (weltpolitisch) wirklich aufwiegen:
Früher konnte man schwankende Diktaturen u.a. auch dadurch beenden, dass man den Diktator mit einer netten Abfindung und seinem veruntreuten Vermögen irgendwo in ein sicheres Drittland ausgeflogen hat und er vorzugsweise in der Schweiz oder an der französischen Riviera seinen – meist nicht ganz freiwilligen – Ruhestand verbringen konnte (die afrikanische Geschichte hat da ja einige Beispiele).
Das mag zwar aus Gründen der Gerechtigkeit nicht die schönste Lösung gewesen sein, aber politisch/diplomatisch sehr pragmatisch und opportun, denn es hat das getan, worum es in der internationalen Politik eigentlich immer geht: Probleme zu lösen.

Mit der Internationalen Strafjustiz geht das so allerdings nicht mehr – denn welcher Diktator würde sich noch “ausfliegen lassen”, wenn ihm dort die Aussicht auf ein Gerichtsverfahren vor dem IStGH mit Haftstrafe, Konfiskation seines Vermögens, etc. etc.. droht? Statt dessen krallt man sich an der Macht so lange fest, wie es irgendwie geht, in der Hoffnung, die Sache aussitzen zu können – und das schadet in mehrfacher Hinsicht:
Zum einen lassen sich Diktaturen nicht mehr so “problemlos” beenden wie früher, wenn es mal eng wird. Zum anderen führt es wohl dazu, dass schwankende Regimes die Repression erhöhen, um die Macht zu wahren, und am Ende im Regelfall nur noch durch Bürgerkrieg und blutige Revolten gestürzt werden können, die im besten Falle nur das Land, im schlimmsten Falle eine ganze Region destabilisieren.
Bestes Beispiel ist in meinen Augen der Sudan: Hier möchte ich stark bezweifeln, ob man sich mit dem Internationalen Haftbefehl gegen al-Baschir wirklich einen Gefallen getan hat. Denn warum sollte der Mann mit dieser Aussicht irgendwas anderes tun, als um jeden Preis zu versuchen, an der Macht zu bleiben?
Anderes Beispiel, wenn auch wackliger: Syrien. Ob es die Lage dort wirklich verbessern würde, würde es nicht die “Drohung” der Internationalen Strafjustiz geben, wenn Assad ausreisen würde, kann man wohl nicht ohne Weiteres beurteilen. Assad wirkt ja nicht unbedingt geneigt, seine Position zu verlassen. Und auch wenn man hier unterschiedliche Ansichten haben dürfte, je nach dem ob man pro oder contra IStGH ist - ich halte den Gedanken nicht für abwegig, das Assad einer Ausreise zur Beginn des Konflikts eventuell zugeneigter gewesen wäre, wenn er die Aussicht auf eine geräumige Villa am Stadtrand von Moskau oder an der französischen Riviera geblüht hätte, und nicht eventuell doch irgendwann eine Verfahren vor dem IStGH, verbunden mit der Aussicht auf eine - wohl wenig angenehme - Zelle in der United Nations Detention Unit drohen könnte.

Fazit:
Ja, Gerechtigkeit ist ein hohes Gut - allerdings sehe ich das auf transnationaler Ebene eher problematisch, weil das eigentlich ein sehr politischer Raum ist, in dem in der Diplomatie viel mit schmutzigen Deals gearbeitet wurde – die führten am Ende vielleicht nicht zu allgemeiner Zufriedenheit, waren aber nicht selten einigermaßen effektiv.
Und diesen Weg hat man sich durch den IStGH, der aus moralischer und rechtlicher Perspektive sicher der saubere und richtigere Weg ist, abgeschnitten – ob das im Ergebnis ein Gewinn für die betroffenen Nationen, Regionen und Völker ist, halte ich zumindest für sehr fragwürdig.

Oder, etwas überspitzt formuliert: Ich halte es für wichtiger, Diktatoren und Autokraten aus dem Amt zu bekommen, als sie für ihre Taten einzusperren. Und weil der ICC die Entsorgung von Despoten verhindert, halte ich ihn für einen Fehler. Denn am Ende sind in meinen Augen Freiheit und Frieden wichtiger als Gerichte und Strafen - was Südafrika mit der Wahrheits- und Versöhnungskomission ganz gut gezeigt hat.

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